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BM: Ausgabe 21 vom 05.06.1999 Seite 06
Ein Fleck, der nicht ausgeht - ueber das Frauenbild bei
Peter Handke

Von

 Isolde Schaad

Der Hass wie eingekapselt, oder unter Milchglas gefroren, eine kalte Sache ist diese Lektuere und ploetzlich dann ein Entzuecken. Handke lesen, das ist ein Wechselbad. Aber man sitzt nicht darin, sondern davor, wie vor einem Aquarium, an dessen Scheiben sich schimmernde Fische tummeln, geschlechtsneutral, stumm und raetselhaft, um sich sofort elegant zu entwinden, sollte ein Besucher sie aufstoebern oder gar fuettern wollen. Handke sperrt die Lebenswelt in die Vollendung ein; man kann die Vollendung von aussen besichtigen.

Handkes Literatur ist unwirtlich, bei allem sprachlichen Glanz, weil sie fuer sich bleibt und nur in der subtilen Landschaftsbeschreibung ueber sich selbst hinausweist. Wobei die Landschaft fast immer ein Stilleben ist.

Er erinnert sich, schreibt Handke, eher an Gegenstaende als an Menschen in seiner Kindheit, und das Menschliche greift er in der Rueckschau geradezu anatomisch am Personal, es ist wie Knorpel, er nimmt einen Gichthoecker an einem Zeigefinger, damit das Kind, das er war, sich daran festhalten kann. Die unbestechliche, unerbittliche Inspektion seiner selbst und der vertrauten Umgebung kann jene gleissende Prosa hervorbringen, fuer die Handke beruehmt ist, etwa im Versuch ueber den geglueckten Tag.

Saetze, wie Perlen gereiht, wenn der Gegenstand einheitlich und ebenmaessig verarbeitet wurde; der Gegenstand ist die Kreatur und die Materie, die Fauna und Flora, die er auf einer Schautafel auslegt: Mit dem ordnenden Auge gelingt ihm die Welt. Sofern keine Frau auftaucht.

Auffallend, wie plump dann sein Frauenbild ist, es liegt woertlich daneben. Es faellt aus dem Portefeuille der Erstklassigkeit, im Unterschied zur Behandlung des Nachtfalters, des Gluehwurms, des Laerchenwalds hinter dem Haus bleibt es Rohstoff oder Klischee. Als wuerde der Autor den Blick vorsaetzlich abwenden, wenn eine Frau in Sicht ist, als haette er ihn schon immer von ihr abgewandt.

* Handke war Hausmann, das ist das Irritierende, er lebte mit seiner Tochter. Er ging daheim einer Beschaeftigung nach, wobei er einen Sinn fuer das haeusliche Umfeld entwickelte, er kann kochen. Und dann dieser Grad von Banalitaet, wenn er Frauen beschreibt. Das nehme ich ihm nicht ab. Er ist doch der Dichter der Empfindsamkeit. Er sollte schon einen triftigen Grund offerieren. Einmal den: Er handelt als Frau, wenn er den Haushalt macht und das Kind erzieht. Er hat das Weibliche unbewusst integriert, und so ist es fuer ihn bloss Aussenansicht, wenn es sich einmal zeigt, was nun selten geworden ist, denn das Weibliche hat ihn verlassen, vor langer Zeit. Das schlieSSe ich aus der Lektuere.

Man koennte seine Beziehungsstarre vorschnell und bruehwarm aus seiner Biografie erklaeren: Armer Leute Kind, Alleinerziehenden-Kind, ungeliebt, in der Kriegszeit, Nazizeit mit Stiefvater aufgewachsen, Internatsschueler: ein Fund fuer die Trivialpsychologie. Es waere uns und ihm jedoch aeusserst unangenehm, seine Literatur auf der Couch auszufalten, und nicht nur aus Gruenden der Diskretion, uns gegenueber, die seine Buecher frueher mit heissen Ohren verschlangen, ja, das muss hier so stehen, sondern weil das fuer ihn das Allerschlimmste waere: die Degradierung des Werks.

Nicht, dass seine Protagonisten das Weib nicht begehrten, das schon, aber sie begehren es als Jaeger, und die erlegte Beute langweilt sie bald. ÃÆ’‚«Dann ergab es sich einmal waehrend unserer halbherzigen Zaertlichkeiten. ( ... ) Das Kind, das sie hatte, war nicht von mir, heisst es in Der kurze Brief zum langen Abschied. Als Juenglinge sind sie wie so mancher homoerotisch im Geiste und haben einen Penis, der ganz unvermutet irgendwo eindringt. Dafuer ist kein Du vonnoeten und kein Geschlechter-Diskurs. Wenn ich etwas mit einer Frau anfange, kommt mir das wie ein Verrat vor, an der unbestimmten Liebe zum Schreiben..., sagt Handke zu AndrE Mueller.

* Ein Schriftsteller von dieser, sagen wir, Hochgemutheit, muss die Not zur Tugend machen und waehlt die Flucht nach vorn. Das heisst, er verpaSSt sich mutwillig und von vornherein den Habitus des Frauenveraechters. Das schuetzt ihn vor dem Vorwurf der Ignoranz. Geschenkt, einem AEstheten wie ihm therapeutisch zu kommen. Die Warnung steht deutlich zwischen den Zeilen. Doch der Verlust der tragenden weiblichen Gestalt in seinem Werk verhindert nicht, dass die Frau immer da ist, als Wasserzeichen der Negation, oder als Fleck, der nicht mehr ausgeht, im Gewebe seines Erinnerns. Erzaehlen, weiss man, ist Erinnern.

Es gibt ein literarisches Dokument der Scheidung - er ist ja sogar verheiratet gewesen wie jeder anstaendige Dichter -, den in den siebziger Jahren zum Kultbuch erklaerten Roman Der kurze Brief zum langen Abschied, eine Lektuere, die 1972 zu uns kam wie ein Road-Movie der Literatur. Ein junger OEsterreicher, der in den Dimensionen von Hemingway und Kerouac die Tankstellen- und Halbwelt der lost generation beschrieb, das war s, was uns damals an Handke fasziniert hat.

Da hat er noch geladene Emotionen, sein Erzaehler schreit im Hotel vor sich hin: ( ... ) du Ding, ich schlag dich zu Brei, wiederholt den Satz noch zweimal und weiter (...) bitte laSS dich nicht finden, du Unwesen. Es waere nicht schoen, von mir gefunden zu werden.

Dieser Roman ist eine einzige gepeitschte Auflehnung und der letzte Versuch zu einem persoenlichen Engagement. Mit seiner Exfrau Judith will der Erzaehler abrechnen, und sei es, indem er sie zu seiner Raecherin macht: Sie heuert gegen ihn mexikanische Killer an und schickt ihm Briefbomben ins Hotel - da geht es noch hoch her in Handkes Literatur. Einmal haben wir uns auf der Strasse gewuergt, und dann bin ich ins Haus gegangen und habe mir ganz automatisch die Haende gewaschen. So bewegten wir uns vor Hass wie in einer Choreografie aneinander vorbei. In Twin Rocks richtet Judith, frisch vom Friseur, die Pistole auf den Erzaehler, und die Fabel probt das Melodram einer Selbstjustiz. Es kommt am Rand des Pazifiks zum Showdown zwischen dem neurotischen Paar, das sich, wie der Fortsetzung zu entnehmen ist, anschliessend zusammenrauft und halbwegs versoehnt zu einem Rendezvous bei John Ford eintrifft: ein virtuoses Finale. Da entsteht in einem rasanten Filmriss-Verfahren die grosse Geste des Versagens: Als ob dieser seltsame Zustand von Froemmigkeit wieder ein Zeichen dafuer sei, dass ich mich noch immer nur in den Anblick von Gegenstaenden, nicht aber in andre Menschen versenken koennte!

Die linkshaendige Frau liest man dann wie eine Revanche in Symmetrie, indem der Autor als weibliches Agens auftritt. Eine Frau verlaesst ihren Mann und handelt wie ein Mann. Das koennte die Fortsetzung des Dramas sein. Die linkshaendige Frau, 1976 erschienen, ist eine Parabel auf das Rollenverhalten, das hat man damals nicht wissen moegen. Man wollte den neuen Meister ungeschuerzt lesen. Nun ist das Alter ego des Autors unschwer zu erkennen, wenn die Frau, die den Ehemann fortgeschickt hat, fuer immer, zu schreiben anfaengt, genau, zu uebersetzen, wenn man weiss, dass Handkes eigentliche Profession das UEbersetzen ist.

* Seither erscheint die Frau als Stoerfaktor. Denn Handke gibt sich von nun an der Umarmung des Schreibens hin. In den Aufzeichnungen Am Felsfenster morgens haelt er aergerlich Rueckschau. Das mit der Partnerschaft hat er im Fruehwerk in flagranti erledigt. Und ein Pantoffelheld darf er nicht sein, er ist Kuenstler und macht aus seiner Situation Kunst; laesst also den weiblichen Fluch als epigrammatische Geringfuegigkeit fallen. Die Frau, deren Geist (vor Freude) entflog, als der Erwartete kommt, der verhuellte Busen im Strandbad, als Trost fuer alle die andern, die nichts mehr zu verlieren haben: das sind oft sanfte oder auch handfeste sexistische Stereotypen, die aus der Hilflosigkeit kommen. Die Partnerin wird im Verlauf des Schreibens die Unbekannte ohne Geheimnis. Handke wirft sie in seinen Text wie den Groschen in den Waschautomaten und heraus springt das notorische haeusliche Elend: Es ist wie ueblich: sie kommt hierher, benuetzt fuer ein einziges Gericht alle Toepfe der Kueche; laesst die Butter anbrennen, dann auch das ganze Gericht, so dass das ganze Haus bis zum Dachboden stinkt (in: Das Gewicht der Welt). Dann wird die Lage penibel: Die Frau hockte mit dickem Hinterteil meditierend im Wohnraum, (...) und der Mann wusch in der Kueche das Geschirr ab.

* Die Erzaehlung Wunschloses Unglueck ist biografisch und hat mich bewegt, als sie 1978 erschien. Nun lese ich sie mit zunehmender Frustration und frage mich nach dem Grund. Denn Handke erzaehlt das Leben seiner Mutter ohne Klassiker-atem, als verzichte er diesmal darauf, Handke zu sein. Das ist ein sprachliches und menschliches Wetterleuchten und hat einen uebergeordneten Blick fuer die politischen Umstaende an einem schnell besiegelten Frauenleben, aus der Armut und Knechtschaft Sloweniens in die Nazizeit Kaerntens geworfen.

Doch selbst in diesem scheinbar persoenlichsten Buch richtet Handke sein Augenmerk mehr auf die Umstaende als auf die Person. So ist manches ueber die oesterreichische Hitlerei zu erfahren, und fast nichts von der Mutter-Sohn-Beziehung. Das Wunschlose Unglueck liest sich jetzt als eine situative Diagnose von Zeitgeschichte. Er sei, sagt der Autor, dabei zu einer Formuliermaschine geworden. Die Verzweifelnde ist bloss Fallstudie fuer den unfreiwilligen Heimkehrer gewesen. So geraet das Kernstueck zum Thema Frau, das Bildnis der Mutter, zu einem literarisch berueckenden, doch persoenlich verdunkelten Scherenschnitt.

Fuer die geplante Erzaehlung Die Wiederholung notiert der Autor: (...) lange Zeit wollte ihn niemand, nur seine Mutter, dann wollten ihn andere, und es gab keine groessere Erleichterung, als der Mutter ledig zu sein. Jene Ideologie, die die Mutter als Naturereignis erfuhr, ist seine eigene Erfahrung gewesen: ( ...) sonst haett ichs auch gar nicht erzaehlen koennen, ich weiss doch gar nichts von meiner Mutter, hab so ein bisschen Instinkt und Ahnung. UEber die Linkshaendige Frau gesteht Handke im Gespraech mit Herbert Gamper: (...) ich koennt doch nicht ueber einen andern Menschen schreiben, wenn ich nicht (...) der Schauspieler (in diesem Fall eben) der Frau waer. Ich huete mich, solche Aussagen zu deuten. Es genuegt, daSS der Psychoanalytiker Tilman Moser Handkes Werk zu deuten versucht hat.

Im Verlauf seiner Verarbeitung schwingt Handke sich oft zu einem bekenntnishaften Sarkasmus auf: Fortschritt: wenn L. (Libgart Schwarz, Ehefrau) frueher ihre unklaren lyrischen Bemerkungen hoeren liess, verzog ich mindestens das Gesicht; jetzt hebe ich grade noch die Augenbrauen. Frauen reden zu viel: Das Erotische an einem Nachdenklichen und deswegen erscheint mir eine Frau so selten erotisch notiert er in Am Felsfenster morgens. Das klingt fast wie Notwehr. Der Erzaehler ist als Mann zunaechst einmal trotzig. Er grollt literarisch durch mehrere Buecher. Es ist ja nicht so, dass er die Liebe nicht kennt, er erwaehnt sie konstant, jedoch ziemlich abstrakt. Auf griechisch heisst die Liebesvereinigung, das Groesste geschieht, notiert er andaechtig beim UEbersetzen.

Das Lieben hat Frucht getragen, die Frucht ist metaphysisch und rein und heisst Das Geliebte. Die Liebe ist also im Verlauf der vielen Partnerschafts-Proben saechlich geworden. Das hat System. Denn wenn das Lieben saechlich geworden ist, kann der Autor es in sein Umfeld eingliedern. Das ist sein Zweck - oder Zwangoptimismus, mit dem er das Unbegreifliche kleinmacht. Um es auf seine Art in den Griff zu bekommen. Doch hat es keinen Status wie das Tier, das zaertlich geschildert wird. Das Tier geniesst hohe Achtung bis in die Mikrostruktur. Die naechtlich um die Lampe taumelnde Motte ist der Zuwendung ebenso sicher wie der philosophisch bedachte Zitronenfalter. Vogelarten geniessen seine besondere Aufmerksamkeit. Er widmet sich mit Hingabe allem, was mit Fluegeln ausgestattet ist. Und ist das nicht seit jeher ein Sehnsuchtsmotiv des Genies gewesen?

Den Aufzeichnungen nach zu schliessen, muss es auch gute Zeiten fuer eine Gefaehrtin gegeben haben. Das ist lange her, und aus der Vergangenheit leuchtet dann das Geliebte, das ihn immer von neuem verliess. In der Retrospektive zeigt es sich ziemlich verklaert, und dann streift ihn die tiefere Einsicht: Liebend kann ich nicht haben wollen, also kann ich dir auf deine Frage Was soll ich tun? keine Anwort geben. Aber ich kann die Frage verstehen und dir mein Verstehen geben. Doch auch in der halbwegs geglueckten Zweisamkeit bezieht er alles auf sich und erkennt die Liebste erst an ihrer Verletztheit. Denn: Liebhaber ist der, der die Wahrheit sagt (In: Am Felsfenster morgens).

* Durch sein ganzes Werk hindurch versieht Handke Frauen mit Namen wie Etiketten, damit er sie nicht naeher beschreiben muss. Judith, Marianne, Claire, Ana und all die andern. Er will nichts von einem Individuum Frau wissen, wenn sie denn einmal bei ihm ist. Das Nichtwissenwollen vertritt er explizit, das kann die Politik betreffen oder eben die Frau. Es kommt in seinem Schreiben spaeter geradezu zur Pflege der Frauenverneinung. Was zum Teufel hindert seine gesunden, erfolgreichen, heterosexuellen Icherzaehler daran, die Frau zu erkennen?

Er muesste sie zunaechst einmal anerkennen, und dafuer muesste er sie einmal betrachten. Statt dessen beobachtet er sie, er beobachtet die Frau, als muesste er auf der Hut sein, vorsichtig, geradezu neurasthenisch. Er ist ja ueberhaupt Beobachter, wenn er schreibt, die gemuethafte Kontemplation liegt ihm nicht. UEber Claire, Gastgeberin in Phoenixville, heisst es: ( ... ) er war erstaunt, dass es ueber sie etwas zu sagen gab. ( ...) Ich sollte noch ihren Namen nennen, konnte aber nicht. Ihr Gesicht war gross, es war unpassend, sie zu streicheln (Der kurze Brief zum langen Abschied).

Was fehlt, ist die Anschauung. Die Kenntnis, als Bedingung von Erkenntnis, setzt Anschauung voraus. Die Scham verbaut aber die Anschauung, die zum Begehren fuehrt. Doch, doch, es gibt eine Libido, aber es ging mit der Sexualitaet immer rasch, Triebbefriedigung bedarf keiner Worte, fast keiner. Denn sie fragt nichts, und verlangt weder Interesse (= Dabei-Sein) noch Rechenschaft. Alles klar?

Bring keine Frau zum Sprechen. Das ist die Quintessenz, das ist der Schluesselsatz, den Handke schon in den fruehen achtziger Jahren praegt, aber erst kurz vor dem Jahrhundertabschluss publiziert, 1998, in den Aufzeichnungen Am Felsfenster morgens. Mit dieser Bedeutungssetzung bin ich freilich schon in Gefahr, jenem feministischen Mythos anheimzufallen, wonach die Urangst des Mannes vor dem Urweib alles hienieden vermasselt hat. Das will ich ihm - und mir - nicht antun.

Denn er ist freundlich und haelt es mit den alleinerziehenden Muettern. Auch mag er Kinder und ist kindlich verfuehrbar und das Glitzern der Halbwelt hat ihn in das grosse weite Amerika gelockt. Dort ist es ihm mit dem Beschreiben am wohlsten, wo die Haftbarkeit einer Heimat entfaellt. In diesem anonymen Pionierland koennte er doch ungestoert hinsehen, auf die donnernde Gross-verfuehrung; das US-Angebot ist damals noch permissiv. Und die Distanz, die er als Tramper hat, muess-te ihn doch geradezu zum Voyeur machen. Doch ist er dann auch im Puff oder auf einer schummrigen Party nicht Voyeur, sondern Quick-Konsument. Die Frau als Begegnung ereignet sich nicht, hoechstens die Frau als Gattung, und die haelt er sich als schnelle Notiz vom Leib. Es gibt Bekanntschaften von frueher, und die Frau ist Kumpel, sie ist dann einfach schon da und macht keine Umstaende aus einer Vergangenheit.

Im Liebesakt schauen seine Protagonisten nicht die Partnerin an, sondern sich selber zu. Im Liebesakt also die Selbstbespiegelung. Darin ist Handke ganz Mann, wie Max Frisch und andere Schreibkollegen. Aber er hat einen anderen Grund. Diesem jungen Gralssucher der Literatur ist ja schon die menschliche Praesenz zuviel. Wenn sie, weiblich und sinnlich, dann auf ihn zukommt, geht er in Deckung bei der Schoentraurigen, denn das ist die einzige, auf die er sich einlaesst. Das wahre Du gehoert der Belletristik und den verehrten Schriftstellern. Frauen kommen auch weiterhin vor, aber ihr Vorkommen verkriecht sich im Mantelfutter des Plots. Dass sie manchmal kurz wieder auftauchen, zeigt nur, wie nebensaechlich sie sind.

Es muss eine Vorgeschichte gegeben haben, die Handke uns vorenthaelt. Ich nehme an, dass die Frau ihn erotisch herausfordert, was er offenbar als Belaestigung empfindet. Worauf sie ihn verbal angreift und fertigmacht. Das waere eine Hypothese auf Grund von Mein Jahr in der Niemandsbucht, 1994 erschienen. Da lese ich: Ihr letzter Blick war Hass so rein, dass mir der ganze Umkreis davon in Weiss getaucht schien. Die Trennung hatte die hoehere Wirklichkeit als das oberflaechliche Ineinanderuebergehen. Das grosse Davor hat er wieder nicht ueberliefert, diese unnuetze Einrichtung namens Beziehung mottet er ein, hat sie bis zur Unkenntlichkeit eingewintert. Weil die Frau als Subjekt auch diesmal nicht zu bewaeltigen war.

* Es fehlt also, grundsaetzlich, der weibliche Eros. Das meint das Ganze am Weib. Jutta Heinrich muss das Schlimmste fuer ihn gewesen sein: das Geschlecht der Gedanken. Ein feministisches Schluesselwerk zu einer Zeit, da seine Sozialisation als Mann stattfand. Bei ihm muss alles sauber getrennt sein, in eine Oberhemdwelt und eine Bauchunternabelung. Nennt man s Pruederie? Das Wort ist zu kurzatmig fuer diesen Autor. Ich habe mich immer geniert, ihr gegenueber aus mir herauszugehen, heisst es einmal in Der kurze Brief zum langen Abschied. Ist es die Scham, die ihn daran hindert, sich wirklich mit dem Geschlecht, dem andern Geschlecht einzulassen? Schon als Kind ist es ihm peinlich, wenn die Mutter auf dem Spaziergang mal muss, sie geht aus Ruecksicht auf das schamhafte Kind dann nicht in die Buesche.

Das erotische Interesse stammt aus der Kindheit, es hat zu tun mit dem ersten Tabubruch. Mag sein, dass er ihn traumatisch erfuhr.

Einmal heisst es, (...) ich mag die Menschen nicht anfassen beim Schreiben.

Es dauert seine Zeit, bis man ihn als Puritaner erblickt. Ja, er ist ein Puritaner, der, wenn es sein muss, mechanisch Hand an sich legt, den Vorgang notiert; und Schwamm drueber. Die Frau als Geschlecht ruehrt er im Schreiben nie an. Vielleicht kultiviert er statt dessen das Kind, weil da fuer den Puritaner die Geschlechterfrage entfaellt. Kinder sind als Wesen vor seiner Vergegenstaendlichung sicher. Ich schreibe das ohne Ironie oder Haeme.

Das Desinteresse am Menschen, das sich in Der kurze Brief zum langen Abschied noch dynamisch liest, langweilt zusehends, wenn Handke aus Beruehrungsangst seitenlang bloSS protokolliert, was Frauen so tun und lassen. Doch dann springt ein Funke, bricht sich ein Gedanke an einem Stuhlbein in einer Bar. Und man ist ploetzlich hellwach wie im Kino oder im Theater und wartet auf ein Ereignis. Und wieder ist es nur das Streifen durch eine Ahnung gewesen, und der Erzaehler ist gleich zurueck bei seinem unentrinnbaren unerschoepflichen Ich.

Trost ist bei den Dichtern. Der gruene Heinrich zum Beispiel, auch so ein armer gefrorener Hansel, zu dem er heimkommen kann, nach einem verpatzten One-night-Stand, dann Emmanuel Bove als Leidensgenosse (in der Ehe), Thukydides oder Juan de la Cruz: Strategen aus dem Geiste des Altertums.

Handke pflegt zuvorkommenden Umgang mit grossen Autoren, die zeitlich und raeumlich entfernt genug sind, um keine Rivalitaet aufkommen zu lassen. Eine Maennerwelt, ein Pantheon voll Weltgeist. Und weit und breit keine Autorin in Sicht. Wo bleibt, zum Beispiel die Duras, die er doch gelesen und kennengelernt hat? Die Duras ist ihm kein Zitat wert. Gehoert sie zum Hickhack, den die Branche so mit sich bringt? Gehoert auch die Duras zum beruflichen Ach-und-Krach mit den Frauen?

Er hat, wie man hie und da aus der Presse erfuhr, Affaeren gehabt, mit franzoesischen Schauspielerinnen, er war in Frankreich fast ein Darling. Ist dann die Duras vielleicht doch zu vital und zu stark fuer ihn, ich meine, um sich mit ihr schriftstellerisch einzulassen? Dafuer ist Rahel Varnhagen historisch genug, um erwaehnt zu werden, und Katherine Mansfield als Antipodin ist ihm einen oder zwei Saetze wert, fuer seine Erzaehlung Die Wiederholung. Ach was, die Frauen.

* Peter Handke ist der Herold einer neuen Generation gewesen, die Abschied nimmt von der Dialektik im Schreiben und nichts haelt von einer Literatur der gesellschaftlichen Relevanz. Abstand ist denn sein Lebensmotto geworden und seine Devise im Schreiben. Das ist die Selbst-rettung. Da gibt es keine Reibungsflaeche durch eine Sozietaet.

Handke bewegt sich zunehmend auf dem Pfad der Laeuterung, auf dem man ihm folgen kann, indianerhaft, am besten im Unterholz, denn sonst waere man mit dem reizbaren und scharfsichtigen Ego allein. Der Pfad kann noch immer ins Reich der Wunderbaren fuehren, was der Autor offenbar vermeiden will. Nichts waere ihm unangenehmer als der geneigte Leser, der nickt, ganz zu schweigen von einer anbetungswilligen Frauengemeinde. Doch kann man seinen zweifellos messianisch gemeinten Duktus bewundern, er gewaehrt Einsichten in die Kunst des Alleinseins. Man fuehlt sich dann geradezu duemmlich sozial.

Die kultivierte Abwesenheit, das ist die Metaphysik seiner Scham oder seiner Geniertheit, einem Lebendigen nahe zu sein. Die Frau seines Spaetwerks hat hoechstens noch eine Berufsbezeichnung oder eine ethnische Herkunft, als die schoene Apothekerin oder die Katalanin, und wird am Ende die Siegerin. Das muss so sein, denn die Rolle des Besiegten kommt ihm zupass. Eine Verurteilung ertraegt man leichter als eine Enttaeuschung, denn das Urteil entlastet von einem Versagen in Selbstverantwortung, man kann dann immer noch Manns genug sein, als unverstandener Held. In seinem Roman ÃÆ’‚«In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus beginnt die Fahndung nach der Siegerin. Da heisst es auf Seite 188: (...) dabei haette er sich vor ihr fuerchten sollen, die Wunden, die sie ihm in der ersten Kampfnacht zugefuegt hatte, mit ihren blossen Haenden, waren noch nicht verheilt, ( ... ) aber er wollte und musste die Frau finden, und sei es um den Preis eines dritten Kopfschlags. Er schreibt weiter von ihrer Gewalttaetigkeit, und fuehrt die Rollenverkehrung in die brutale Absurditaet: Die Frau wird zur Schaenderin des Mannes. Eine Schluesselszene bildet der Auftritt der bildschoenen Tochter des Dichters, die sich bei seinem Anblick sogleich in das haessliche Entlein verwandelt. Anschliessend wird seine unansehnliche Leibesfrucht verhaftet und von Polizisten abgefuehrt. Die Koenigin laesst ausrichten: Zwischen Frau und Mann ist neuerdings Feindschaft gesetzt. Und darauf folgt eine Jeremiade, eine Beschwerde, wie in Gesetztafeln geritzt: Nicht nur werden wir nicht mehr geliebt, sondern sogar bekaempft, und wenn die Liebe ins Spiel kommt, dient sie nur noch dazu, den Krieg zu eroeffnen. (...) Frueher oder spaeter wird die dich liebende Frau so oder so von dir enttaeuscht sein, sie wird dich (...) wie sie erklaert, durchschaut haben, ohne dir aber zu sagen, worin sie dich durchschaut hat. (...) und sie wird dich keinen Moment mehr vergessen lassen, dass sie dich durchschaut hat. (...) denn zugleich laesst sie dich nun kaum mehr allein. (...) du selber denkst zwar keineswegs von dir als Schwindler, Luegner und Falschspieler, und moechtest ihr wie bei eurem Anfang ein guter Mann sein, aber du bist gezwungen, dich als all das zu sehen, in und mit ihren Augen

So sitzt der geschlagene Mann, weil unfaehig, nach Beduerfnissen von Gefaehrtinnen zu fragen, am Ende im Maerchen ein und ist so klug als wie zuvor. Er moechte wie der klassische Romanheld von seiner Siegerin bestaetigt werden als Mann, und das heisst dann fraglos als ganzer Kerl. Dieser Autor sei unfaehig zur Differenz, das waere nun die gebotene feministische Folgerung. Und immer noch suche ich ihn zu verteidigen.

Erhabene Speditionen bitterer Alltagserkenntnis in die Hochebene des Erzaehlens. Idyllisierung der Rollenstereotype: Die Gaertnerin aus Liebe, weil sie den Garten liebt. Oder: (...) sie: erzaehl mir was, und ich entschliesse mich, nachdem ich nachgedacht habe, nicht zu antworten.Man kann sich die Situation drastisch vorstellen - sie wartet, er schweigt -, man muss sie nicht weiter deuten, es ist ja bloss die Chronik der laufenden Abnuetzung (In: Am Felsfenster morgens. Es waere nicht noetig gewesen, finde ich, die Frau am Schluss zur Hohenpriesterin der ganz gemeinen Misere zu machen. Doch der Alleingang braucht Pathos, um ertragen zu werden. Das sehe ich ein. Schoenschreiben, was genuin ordinaer erlebt worden ist, das ist, summa sum-arum, sein Vorhaben geworden. Dass die Frau dabei zu einem Motiv unter andern heruntergekommen ist, bleibt sein Hohn und unsere Schmach. Hat man das nicht einmal Sublimation nennen duerfen?

Epilog Eine Flucht: eine Frau verfolgt einen Mann. Die verfolgende Frau reisst sich im Laufen die Peruecke herab und entpuppt sich als Mann; der fluechtende Mann verliert den Hut und entpuppt sich als Frau, und beide fallen einander in die Arme(In: Das Gewicht der Welt). Dieses Buch hat Handke sein authentischstes Buch genannt. Ecce homo? Frau haette ihn zum Pionier einer Gender-Diskussion machen koennen, machen sollen, haette die feministische Leserin dieses Potential ihrer Handke-Lektuere fruehzeitig erkannt. Er ist ja schon laengst unterwegs als Single, lange vor dem allgemeinen Aufbruch. Schoen, eine Frau, die einen an nichts erinnert, an keinen Schwanenhals, und so weiter, notiert er in den spaeten siebziger Jahren. Auch Die linkshaendige Frau waere Anlass zur Vermutung, dass er ein sanfter Visionaer haette werden koennen, seiner Zeit weit voraus, haette er einen Topos entfacht, den damals in der Rezeption niemand erkannte. Der androgyne Erotiker waere in diesem Autor geboren worden, aus der Steisslage des Puerternus. Diesem Autor ist ja zu schreiben gegeben, was der Mann von der Strasse nicht zu sagen vermag. Und wenige Schriftsteller verfuegen ueber die Sprache wie dieser. Die Pflege der Abwesenheit, sein Ritual, bleibt ein Code fuer die Wahrheit der Dreizimmerwohnung. Ich haette so gerne gewusst, was darin vorging. So viel kann ich schliessen: Seine Gefaehrtin war ihm nie wichtig genug. Denn der Diskurs, oder gar der Geschlechterkampf, fuer andere ein produktiver Konfliktstoff, eignet sich nicht fuer eine Literatur, die geformte Existenz sein will. Um die Unschuld der Woerter vor dem Verschleiss zu bewahren.

Peter Handke mit Libgart Schwarz, Duesseldorf 1968 Mit seiner Tochter Amina 1970.

Mit seiner Mutter, Duesseldorf 1968. Fotos: Katalog zur Ausstellung Peter Handke, Stift Griffen/Kaernten, 1997.

Die Abwesenheit,1987 erschienen, hat Handke selbst 1994 verfilmt; mit Bruno Ganz, Sophie Gemin, Jeanne Moreau u.a.

... beimWerk nehmen DichterInnen sind keine PolitikerInnen, das zeigt sich auch im Kosovo-Krieg. Peter Handke, der Sympathien fuer Jugoslawien aeussert, ist mit unklugen Worten aber nicht allein, jetzt wo sich SchriftstellerInnen wie Christoph Buch, Ruediger Saffransky, Herta Mueller und Jean Ziegler ploetzlich so kriegsfreudig zeigen, Elfride Jellinek das serbische Volk diffamiert und H.M. Enzensberger das Mittelalter auf dem Balkan verantwortlich macht. Daraus folgt einmal mehr: Man sollte Dichter weniger beim Wort als bei ihrem Werk nehmen. Genau das tut die Goettinger Literaturzeitschrift mit einer Handke-Nummer, die demnaechst erscheint. Daraus der Beitrag der Schweizer Autorin Isolde Schaad.

Autor: Isolde Schaad


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